Es ist Februar im Jahr 2009, die Zeit des Straßenkarnevals, irgendwo in Köln. Viele Leute gehen verkleidet in die Stadt, um sich hemmungslos zu amüsieren. Zwei Männer unterhalten sich in einer düsteren Kneipe. Der eine ist als Mönch verkleidet, der andere als Teufel. Vor ihnen auf dem Tisch reihen sich die leeren Kölsch-Gläser. Der Teufel doziert in einer frommen Anwandlung:
“…seit 2000 Jahren wartet die Christenheit darauf, dass der Messias zurückkehrt und die Auserwählten in das neue Jerusalem bringt, in das Paradies, in den Himmel, in die ewige Freude. Das nenne ich mal Geduld! Die ersten Christen lebten sogar in der Hoffnung, sie würden diesen Tag vor ihrem leiblichen Tod erleben. Der Apostel Paulus musste einige Gemeinden ermahnen, das tägliche Leben normal weiterzuführen, damit nicht alles zum Erliegen kommt.”
“Kenne ich, das heißt bei den Theologen doch Naherwartung!” wirft der Mönch ein.
“Genau! Nachdem aber immer mehr von den ersten Christen gestorben waren, musste sich der Rest wohl oder übel auf ein längeres Warten einstellen und so entstand zwangsläufig die Kirche. Oder genauer: Die Kirchen! Die Theologen gaben sich seitdem viel Mühe, die Rückkehrverheißungen der Bibel wegzuinterpretieren, zu relativieren und wegzudiskutieren. Was will eine so mächtige Organisation wie die Kirche auch mit einem Messias? Der würde ihre Macht doch sofort beenden, wenn er wirklich zurückkäme! Sie würde ihn gar nicht anerkennen können. Falls Jesus Christus schon einmal irgendwann versucht hat, zurückzukehren, ist er vermutlich genauso schnell beseitigt worden wie beim ersten Mal. Als Ketzer verbrannt, in ein Irrenhaus gesteckt, in eine Gaskammer oder was auch immer gerade dran ist….”
“Das kann aber noch nicht passiert nicht sein, denn die Verheißung besagt doch, dass er das Ende der Zeit bringen wird, dass die alte Erde und der alte Himmel vergehen werden, und dass alle Menschen, auch die Toten, gerichtet werden sollen.”
“Na gut, aber wie genau soll das „Ende der Zeit“ denn aussehen? Steht Gott nicht über der Zeit? Was ist mit der Ewigkeit? Sie existiert doch die ganze Zeit über! Es muss so was wie eine andere Dimension sein. Sie war schon immer da und wird immer da sein, vielleicht eine Art Paralleluniversum in der die vierte Dimension, die Zeit, fehlt, oder durch etwas anderes ersetzt wird.”
“Ja, möglich, aber was willst du damit sagen?”
“Ich will sagen, dass die Zeit hier auf Erden nach der „Endzeit“ ja auch ganz normal weitergehen könnte, weil die neue Welt eben “woanders” ist. Jesus kam damals ja auch nicht als der Messias, den seine Zeitgenossen erwarteten. Vielleicht ist das alles ein Missverständnis…?”
“Ein Missverständnis? Wieso?”
“Als Jesus lebte, hat die antike Welt praktisch keine Notiz von ihm genommen. Er lebte aus damaliger Sicht sozusagen am Arsch der Welt, bei kauzigen, rustikalen und schrecklich altmodischen Leuten. Selbst sein Tod und seine Auferstehung waren für viele Jahre, ja Jahrzehnte für den Rest der Welt völlig bedeutungslos. Und zwar so lange, bis fanatische Missionare und spitzfindige Theologen ein Konzept, ein System, eine Religion zurecht gefeilt hatten, mit welcher sie die antike Welt schließlich aus den Angeln hoben und ins finstere Mittelalter warfen. Jesus trat als historische Gestalt nicht die Weltherrschaft an. Warum sollte er es also bei seiner Rückkehr tun? Würde er diesmal in den Vatikan gehen und zum Papst sagen: Ciao, Ratzi Ragazzi, ich bin’s! Schön, dass ihr so lange gewartet habt, aber jetzt mach mal den Platz frei…”
“Nein, das müsste dann schon irgendwie globaler sein…”
“Na gut, dann eben in den USA: Nach der nächsten Präsidentschaftswahl gibt sich der Wahlsieger plötzlich als der zurückgekehrte Christus zu erkennen…”
“Nein, nein, das wäre zu zynisch, das kann nicht sein! So ist Gott doch nicht!”
“So? Wie dann? Ein riesiger Komet rast auf die Erde zu! In ein paar Jahren, wenn er hier ankommt, könnte er sie genau treffen – Bumm! Alle die sich danach nicht in goldenem Licht wiederfinden, gehörten nicht zu den Auserwählten…”
“So vielleicht schon eher…”
“Aber warum nicht genauso heimlich wie beim ersten Mal? Zum Beispiel so: In einem kleinen Tolteken-Dorf in Mittelamerika erscheint im 13. Jahrhundert ein Zauberer. Er lehrt ein paar Jahre, vollbringt ein paar Wunder und verkündet das Gottesreich für alle, die daran glauben. Er wandert ein bisschen herum und am Ende vollzieht er ein magisches Ritual, mit dem er sich und eine kleine Schar treuer Anhänger aus dieser Welt entfernt. Der Rest der Menschheit macht weiter wie bisher, aber Gott hat die Erde endgültig verlassen. Dass würde doch erklären, warum es heute keine brennenden Dornbüsche und keine wundertätigen Apostel mehr gibt. Oder warum der Heilige Geist die Getauften nicht mehr in Zungen sprechen lassen kann. Weil Gott schon lange fort ist!“
„Aber, was ist dann mit dem endzeitlichen Gericht über alle Menschen? Was ist mit den bösen und verdorbenen Menschen, die in den feurigen Pfuhl geworfen werden sollen?”
“Wieso, der Pfuhl ist doch nur eine Metapher! Wenn Jesus schon zurückgekehrt ist und die Seinen abgeholt hat, kann es nur eine Erklärung geben: Die Hölle ist jetzt und hier!”
“Die Hölle ist hier?”
“Na, der Himmel ist es wohl kaum, und, mal ehrlich, schlimmer als das, was Menschen einander antun, kann die Hölle gar nicht sein. Selbst die, denen nichts besonders Böses angetan wird, müssen sich mit dem Wissen quälen, dass es woanders eben doch passiert ist und immer wieder passiert. Und sie müssen sich immer damit quälen, dass sie aus Bequemlichkeit oder Egoismus nicht alles geben, um Ungerechtigkeit, Hunger und Leid der anderen zu bekämpfen.”
“Ja, das klingt irgendwie logisch. Aber wenn unsere Welt wirklich die Hölle ist, wieso gibt es dann überhaupt noch Schönes, oder Liebe, und Hoffnung?”
“Es gibt sie nicht mehr wirklich, es ist alles nur Schein, um uns zu quälen und zu verhöhnen. Am Ende ist alles vergeblich und zerfällt zu Nichts.”
“Mein Gott! Aber es gibt doch die Kirchen, die Reformation, die Sozialpädagogik, Kunst, Musik, Kultur, Humanismus, Medizin, Seligsprechungen, Nobelpreise, die FDP…”
“Alles nur trauriges und halb gares Menschenwerk – oder Teufelswerk, das liefe dann wohl auf dasselbe hinaus.”
“Aber mal gesetzt den Fall, dass du recht hättest: Warum gibt es denn dann keine historischen Berichte? Bei Jesus erstem Auftreten hat dies zum Entstehen einer Weltreligion geführt. Seine Rückkehr müsste doch irgendeine Spur in den Quellen hinterlassen haben?”
“Nicht unbedingt! Wenn er diesmal seine Auserwählten alle mitgenommen hat, wer sollte danach noch davon schreiben? Es wären ja nur solche zurückgeblieben, die nicht an ihn glauben.”
“Nein, nein, nein, das ist mir alles zu verrückt, ich kann – ich will nicht glauben, dass der Messias bereits zurückgekehrt ist und wir die Verdammten sind, die nicht gerettet werden”, jammert der Mönch.
“Niemand würde es glauben, selbst – oder: gerade wenn – es so wäre. Was ich natürlich nicht als Beweis für die Richtigkeit meiner Hypothese verstanden wissen möchte….”, spricht das Teufelchen und bestellt mehr von dem schalen Bier, dass man nur in Köln mag.