Diktatur für Jedermann

Wie werde ich Diktator?

Dieser Beitrag von Edmund Bünting beschreibt in satirischer Weise, wie man eine liberale Demokratie in neun Schritten in eine totalitäre Diktatur verwandelt und sich selbst zum Alleinherrscher aufschwingt. Im Grunde könnte das eigentlich jeder. Nur: Am Ende kann es natürlich nur einen geben (wie der Name schon sagt).

Inhalt:

Einleitung
Bin ich der richtige Typ?
Staatskunde für Dummies
Schritt 1: Besorge jede Menge Geld…
Schritt 2: Entwerfe eine politische Programmatik
Schritt 3: Öle die Propaganda-Maschine
Schritt 4: Erlange und nutze politische Macht
Schritt 5: Pflege ein Netzwerk von Sympathisanten und anderen Autokraten 
Schritt 6: Schüchtere politische Gegner ein
Schritt 7: Schaffe eine grosse Krise
Schritt 8: Die Machtergreifung
Schritt 9: Die goldene Zukunft

Einleitung

Du hast einen langweiligen Job, dein Chef nervt, Frauen ignorieren dich, dein musikalisches und künstlerisches Talent ist nicht einmal Mittelmaß und im Sport warst du immer eine Niete? Du fühlst dich ungeliebt und unbedeutend? Selbsterfahrungsgruppen und Psychotherapien haben nur die Therapeuten reicher gemacht? Das Leben ist mies. Was nun?

Warum nicht Diktator werden? Schließlich bietet die Alleinherrschaft unbestreitbare Vorteile: Unumschränkte Macht, grenzenloser Reichtum und die Möglichkeit, endlich ernstgenommen zu werden und wichtig zu sein – ganz zu schweigen von «attraktiv», denn Macht macht selbst den hässlichsten Mann[1] sexy. Zudem hättest du die Freiheit, jederzeit ein Nickerchen machen zu können.

Du könntest dir all die ermüdenden Diskussionen darüber sparen, wer den Müll rausbringt oder die Spülmaschine ausräumt. Denn du hättest für jeden Aspekt deines Lebens, der dich nervt, jemanden, der sich darum kümmert. Du könntest wohnen, wo und wie du willst, essen wann und was du willst, und dich den exklusivsten Vergnügungen hingeben. Du könntest mit Xi Jinping Tee trinken, mit dem US-amerikanischen Präsidenten Golf spielen, mit Elon Musk zum Mars fliegen, mit Putin den letzten sibirischen Tiger jagen oder mit Markus Söder ein Bier im Englischen Garten trinken. Alle würden dich bewundern, alle würden nach deiner Pfeife tanzen.

Also, worauf wartest du noch? Die Welt liegt dir zu Füßen – zumindest bis jemand anderes auf dieselbe Idee kommt. Zur Inspiration hier noch eine kleine Auswahl an Diktatoren aus der Geschichte:

Louis XIV. von Frankreich (1638–1715): Bekannt für den Ausspruch „L’État, c’est moi“ („Der Staat bin ich“), der seinen absoluten Herrschaftsanspruch verdeutlichte.

Napoleon Bonaparte (1769–1821): Sein Motto „La France avant tout“ („Frankreich vor allem“) spiegelte seinen Fokus auf die nationale Stärke und Expansion wider.

Benito Mussolini (1883–1945): Der italienische Diktator prägte den Slogan „Credere, obbedire, combattere“ („glaube, gehorche, kämpfe“), der die Prinzipien des Faschismus zusammenfasste.

Adolf Hitler (1889–1945): Sein Regime nutzte den Leitspruch „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, um die nationalsozialistische Ideologie zu propagieren.

Saddam Hussein (1937–2006): Der irakische Präsident nutzte den Slogan „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) auf der Flagge, um seine Herrschaft religiös zu legitimieren.

Eine ausführlichere Liste findest du auf https://www.taschenhirn.de/geschichte/groesste-diktatoren-und-tyrannen/. Nicht allen Tyrannen war eine lange Herrschaft oder ein glückliches Ende vergönnt. Lass dich aber nicht davon abschrecken, sondern lass uns vielmehr aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Dann wird dich dieser praktische Ratgeber unfehlbar an die Spitze der Macht befördern.

Noch ein kleiner Hinweis zum «wording»: Die Begriffe Diktator, Tyrann, Autokrat oder Alleinherrscher bedeuten im Grunde alle dasselbe und sind im heutigen Sprachgebrauch nicht besonders schmeichelhaft. Sobald du genügend Macht hast, wirst du diese Begriffe (und die, die sie gegen dich verwenden) verbieten und stattdessen durch schmeichelhaftere Wörter ersetzen wie Chef, Führer, Retter, Häuptling, Messias, Leitwolf, Oberster Vorsitzender, Zentrum des Universums – oder was eben am besten in deine Ideologie-Erzählung passt.

Bin ich der richtige Typ?

Bevor du den Plan der Alleinherrschaft weiterverfolgst, solltest du dir ehrlich überlegen, ob du die persönliche und charakterliche Eignung dafür mitbringst. Am besten füllst du den folgenden Fragebogen aus, je Frage bitte nur eine Antwort! Die Auswertung erfolgt am Schluss:

1. Wie wichtig ist mir, was andere über mich denken?

  1. Ich will von allen geliebt werden (0 Punkte)
  2. Ist mir scheissegal (5 Punkte)
  3. Ich will bestimmen, was andere über mich denken (10 Punkte)

2. Welche Bedeutung haben Gerechtigkeit und Fairness für mich?

  1. Alle sollen gleiche Rechte und Chancen haben (0 Punkte)
  2. Fairness ist Quatsch, der Stärkere hat recht (5 Punkte)
  3. «Gerechtigkeit» und «Fairness» sind nur rhetorische Keulen gegen meine Gegner (10 Punkte)

3. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

  1. Ich bin Chef der AfD (0 Punkte)
  2. Ich bin Bundeskanzlerpräsident von Deutschland (5 Punkte)
  3. Ich beherrsche die Welt (10 Punkte)

4. Wie skrupellos sind Sie?

  1. Ich betrüge bei der Steuererklärung (0 Punkte)
  2. Ich klaue Kleinkindern ihren Lolli (5 Punkte)
  3. Ich fahre auf dem Parkplatz gegen ein anderes Auto, rufe dann die Polizei und behaupte, der andere war‘s (10 Punkte)

5. Welche Bedeutung haben «Regeln» für Sie?

  1. Regeln sollten für alle gelten (0 Punkte)
  2. Regeln sollten nur für die anderen gelten (5 Punkte)
  3. Ich bestimme die Regeln und die Ausnahmen (10 Punkte)

6. Was bedeuten die Kategorien «gut» und «schlecht» für Sie?

  1. «Gut» und «schlecht» sind moralische Kategorien, die auf allgemein anerkannten gesellschaftlichen Konventionen beruhen (0 Punkte)
  2. Gut ist was mir nützt, schlecht ist was mir schadet (5 Punkte)
  3. Ich bestimme, was gut oder schlecht ist (10 Punkte)

7. Ist es ihnen wichtig, dass alle Menschen ein möglichst gutes und glückliches Leben führen können?

  1. Ja, jeder Staat sollte seine Ziele am Wohle der Bürger ausrichten (0 Punkte)
  2. Nur soweit es meinen persönlichen Interessen dient (5 Punkte)
  3. Nein (10 Punkte)

8. Können Sie gut lügen?

  1. Ich werde rot und fühle mich schlecht, wenn ich lüge (0 Punkte)
  2. Ich kann lügen, dass sich die Balken biegen (5 Punkte)
  3. Was ich sage, ist per Definition wahr (10 Punkte)

9. Wie risikofreudig sind Sie?

  1. Ich habe für alles eine Versicherung (0 Punkte)
  2. Ich rauche an der Tankstelle (5 Punkte)
  3. Ich spiele nur mit gezinkten Karten (10 Punkte)

10. Haben Sie Charisma?

  1. Was ist das? (0 Punkte)
  2. Ich wurde mal zum Klassensprecher gewählt (0,5 Punkte)
  3. Spielt keine Rolle, «Charisma» ist nur die Erklärung der Ahnungslosen für Popularität (10 Punkte)

So weit, so gut, und nun zur Auswertung.

0 bis 20 Punkte: Vergiss es, mach deinen Job weiter, halt die Klappe und hoffe, dass niemand merkt, was für eine Niete du bist.

21 bis 40 Punkte: Kauf dir einen Hund, vielleicht macht der, was du willst (wahrscheinlich aber nicht).

41 bis 60 Punkte: Du könntest als Hauswart sicher gut die Nachbarn terrorisieren, oder im Marketing erfolgreich sein.

60 bis 80 Punkte: Du hast das Zeug zum Politiker.

80 bis 100 Punkte: Du hast das Zeug zum AfD-Vorsitzenden.

Über 100 Punkte: Du bist der geborene Diktator!

Staatskunde für Dummies

Um eine Diktatur zu errichten, braucht man für den Anfang einen einzelnen Staat, am besten eine Demokratie. Liberale Demokratien sind am einfachsten zu unterwandern. Bevor wir uns den Schritten zuwenden, die nötig sind, um eine Diktatur aufzubauen, müssen wir uns aber ganz kurz mit einigen wichtigen Prinzipien eines demokratischen Staates beschäftigen. Denn typischerweise steht das, was eine Demokratie ausmacht, in fundamentalem Gegensatz zu dem, was ein Diktator will, und muss folglich unterwandert, infiltriert, umgedeutet und schlussendlich abgeschafft werden. Aber keine Angst, das Thema ist nicht komplizierter als die Frage, wie ich meinem Bewährungshelfer Läuterung vorspiele, während ich gleichzeitig weiter Tankstellen überfalle.

Also, ein wichtiges Grundprinzip demokratischer Staaten ist die sogenannte «Gewaltenteilung». Die besagt, dass Gesetzte nicht von der Regierung gemacht werden, sondern von einer davon unabhängigen Instanz, dem Parlament. Und sie besagt weiter, dass auch die Einhaltung der Gesetzte nicht von der Regierung kontrolliert werden, sondern von unabhängigen Gerichten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass selbst die Regierenden sich an Recht und Gesetz halten müssen – im sogenannten «Rechtsstaat». Das ist natürlich alles sehr lästig, wenn man Alleinherrscher sein will. Darum ergibt sich für jeden sofort erkennbar die Notwendigkeit, diese Gewaltenteilung so schnell wie möglich auszuhebeln.

Als vierte Gewalt in einer Demokratie werden oft die unabhängigen Medien bezeichnet, die wesentlich zur Information und damit zur Meinungsbildung des Wahlvolks beitragen. Denn eine Wahl von Volksvertretern macht ja, wenn überhaupt, nur dann Sinn, wenn das Wahlvolk sich irgendwie vorher informieren kann über die Optionen, die es gibt (und darüber, wer Mist erzählt). Das ist wie bei den Tankstellen – man will halt vorher wissen, ob es sich lohnt.

Egal, es ist jedenfalls klar, dass man diese unabhängigen Medien so schnell wie möglich unter die eigene Kontrolle bringen muss. Zum einen, damit sie nichts Schlechtes über den (angehenden) Diktator berichten. Zum andern, damit sie nur Gutes über den (angehenden) Diktator berichten. Ob die Medien «die Wahrheit» sagen oder nicht ist nicht so entscheidend, solange niemand den Unterschied merkt.

Genau, und dann sind da noch die Wahlen als weiterer Grundbaustein einer Demokratie. Im Ideal der liberalen Demokratie haben alle wahlberechtigen Bürger freien Zugang zu den Wahlen und können im Geheimen abstimmen, wer sie regieren bzw. wer im Parlament sitzen soll. Und es kann sich (theoretisch) auch jeder zur Wahl aufstellen und sich wählen lassen. Rein praktisch ist das natürlich nicht so, denn es braucht sehr viel Geld, um eine neue Partei zu etablieren und einen Wahlkampf zu führen. Das gilt selbstverständlich auch für Parteien, die insgeheim planen, eine Diktatur herbeizuführen. Aber da haben sich bis jetzt immer noch genug reiche und skrupellose Sponsoren gefunden, die sich von der späteren Diktatur Vorteile erhoffen und darum gerne bereit sind, eine gewisse Anschubfinanzierung zu leisten.

Freie Wahlen durch in der Sache gut informierte Bürger sind für unsere Zwecke kontraproduktiv, denn wer glaubt ernsthaft, dass je eine Mehrheit von einem skrupellosen Diktator regiert werden möchte, der sein Volk fortwährend belügt und eigentlich nur maximal ausquetschen will?

Es wäre naheliegend, freie Wahlen so schnell wie möglich abzuschaffen, aber dazu müsste man ja erst einmal an die Macht kommen. Der direkte Weg dahin wäre ein Staatstreich, ein Putsch oder eine Revolution. Das ist aber viel schwieriger als es klingt, sehr teuer und auch ziemlich riskant. Führenden Autokraten empfehlen daher die schleichende Unterwanderung des demokratischen Staates unter Ausnutzung seiner prinzipiellen Schwachstellen: Meinungs- und Pressefreiheit, Pluralismus, Bestechlichkeit, Opportunismus, Gier – und generell alle niederen Instinkte des Menschen.

Schritt 1: Besorge jede Menge Geld

Autsch! Du denkst jetzt vielleicht «wieso sollte ich noch Diktator werden wollen, wenn ich jede Menge Geld hätte»? Abgesehen davon, dass diese Frage Zeichen einer völlig falschen Attitüde ist, gibt es einige logische Argumente, warum Geld allein nicht glücklich macht:

Erstens: Jemand mit mehr Macht könnte dir deinen Reichtum einfach wegnehmen.

Zweitens: Ohne absolute Macht kannst du mit deinem Reichtum ja gar nicht machen, was du willst. Klar, du könntest die fünfzigste Superyacht bauen lassen, Liechtenstein oder Mallorca kaufen, aber könntest du auch in Berlin das Brandenburger Tor durch eine 100 Meter hohe Kolossalstatue von dir selbst ersetzen lassen? Siehste.

Drittens: Geld muss irgendwo herkommen. Manche verdienen es sich sogar. Aber je nach Geschäftsmodell ist das mühsam, riskant und auch schnell wieder weg. Und einfach nur Leihen geht auch nicht, denn irgendwann kommt der Zahltag. Es sein denn…

Eben, wenn du erst einmal die absolute Macht hast, brauchst du natürlich keine Schulden mehr zurückbezahlen. Der Trick ist, Leuten wie zum Beispiel Großinvestoren, Industriellen, dem russischen Geheimdienst oder US-amerikanischen Tech-Milliardären mit schlauen Versprechen ein paar Milliönchen aus der Tasche zu leiern. Am einfachsten ist es, wenn du jeden denken lässt, dass er am Ende selbst oberster Chef werden kann, falls er dich vorübergehend unterstützt und sozusagen «ausnutzt». Das ist völlig ok, denn sobald du die Macht hast, lässt du die Idioten einfach erschiessen.

Prinzipiell ist an dieser Stelle Heimlichkeit gefragt. Das heisst deine Finanzierungsquellen müssen möglichst verborgen bleiben, um lästigen Fragen aus dem Weg zu gehen. Das sollte grundsätzlich kein Problem sein, aber du solltest dich darauf einstellen, hier frühzeitig externe Expertise in Anspruch zu nehmen. Jede grössere Finanzberatungsgesellschaft steht dabei gerne hilfreich zur Seite.

Aber wofür braucht man das ganze Geld? Das Geld brauchst du vor allem für die folgenden wichtigen Aktivitäten:

  • um eine Parteiorganisation aus arbeitslosen Losern aufzubauen, die jedem hinterherrennen, der sie bezahlt
  • um Lobbyisten, Politiker, Behörden und Gerichte zu bestechen
  • um mediale Schlachten zu schlagen oder einflussreiche Medien aufzukaufen
  • um Finanzberater, Visagisten, Kommunikationsexperten, Werbeagenturen, Eventmanager, Luxusautos und Catering zu bezahlen

Schritt 2: Entwerfe eine politische Programmatik

Dieser Schritt ist wichtig, denn bis zur finalen Machtergreifung brauchst du ein politisches «Programm», welches möglichst massentauglich und zugleich möglichst unverbindlich ist. Das ist inhaltlich nicht besonders schwierig. Versprich einfach allen gesellschaftlichen Gruppen das, was sie hören wollen. Behaupte, dass du (und nur du) die Lösung all ihrer Problem kennst. Das wäre noch nicht einmal gelogen, denn nach der Machtergreifung werden ihre bisherigen Probleme vergleichsweise nichtig sein.

Konzentriere dich vor allem auf bestehende gesellschaftliche Konflikte oder ungelöste Probleme. Du kannst aber auch neue erfinden, das gibt in Deutschland immer Pluspunkte auf dem «Besserwisser-Konto». Das Ganze muss nicht logisch oder in sich widerspruchsfrei sein, und schon gar nicht umsetzbar. Du kannst problemlos gleichzeitig behaupten, die Leistungen für Rentner und Familien auszubauen, die Einkommens- und Unternehmenssteuer abzuschaffen und dabei auch noch die Staatsverschuldung zu reduzieren. Jeder hört nur das, was er hören will, die meisten Menschen haben von diesen Dingen sowieso keine Ahnung und, ganz ehrlich, wer kann heute noch Kopfrechnen?

Falls dein politisches Programm von anderen als «populistisch» bezeichnet wird, mach dir nichts draus. Die sind nur neidisch, weil ihnen nichts Vergleichbares eingefallen ist. Jedes Versprechen das gut beim Volk ankommt, ist ja per se «populistisch». Und wo gäbe es in Deutschland eine Partei, die je nach der Wahl das getan hätte, was sie vor der Wahl bzw. in ihrem Programm versprochen hätte? Wenn sowieso alle lügen, warum dann nicht wenigstens schöne Lügen erzählen?

Es ist aus naheliegenden Gründen nicht ratsam, deine wahren Absichten in dem Programm zu offenbaren. Es macht aber Sinn, den nächsten Schritten hin zur Macht bereits in dem Programm den Weg zu ebnen, indem hier und da die Legitimität staatlicher Institutionen in Frage gestellt wird oder diese (nur ein kleines bisschen) verächtlich gemacht, etablierte Parteien diskreditiert, und vielleicht auch die freien Medien als «elitengesteuerte Lügenpresse» dargestellt werden. Natürlich immer nur im Rahmen der pluralistischen Meinungsvielfalt und auf dem festen Boden des Grundgesetzes.

Schritt 3: Öle die Propaganda-Maschine

Hier kommt sinnvollerweise ein Grossteil des zusammengeschnorrten Geldes zum Einsatz. Bespiele die Medien auf allen Kanälen mit emotionalen, einfachen Botschaften, die an die niederen Instinkte der Menschen wie Neid, Wut und Egoismus anknüpfen. Es kann nützlich sein, hier und da ein paar isolierte und aus dem Zusammenhang gerissene «Fakten» einzustreuen. Dann freuen sich die Halbgebildeten, für die Mehrheit der Zuhörer ist das aber nicht nötig. Es ist doch so, dass heute niemand mehr in allen Angelegenheiten ausreichend gut Bescheid wissen kann, so dass es in dem meisten Fällen ausreicht, Behauptungen nur oft genug zu wiederholen, um sie für den Großteil der Hörerschaft «wahr» werden zu lassen.

Wichtig ist der mediale Angriff auf breiter Front, heutzutage sind da vor allem auch die sogenannten «Sozialen Medien», also Internetplattformen wie TikTok, Facebook, X, Instagramm, YouTube usw. interessant, wo man sich als Werbetreibender «Reichweite» einfach kaufen kann. Ab einer bestimmten Masse wird das ein Selbstläufer, indem opportunistische Blogger, narzisstische Influencer, russische Trollfabriken sowie arbeitslose Loser aus deiner Anhängerschaft die Foren und Plattformen mit ihren nachgeplapperten Pseudo-Argumenten überfluten.

Wichtig ist auch, dem Bedürfnis nach Feindbildern nachzukommen. Feindbilder sind ausgezeichnet dazu geeignet, anderen die eigenen Probleme in die Schuhe zu schieben, oder diese wenigstens zu relativieren und von ihnen abzulenken (gemeint sind die Probleme, nicht die Schuhe, Anm. d. Hrsg.). Kein Autokrat kommt ohne Feindbilder aus, um seine Anhängerschaft hinter sich zu scharen.

Sehr hilfreich ist es, vorhandene Ängste zu schüren oder, wenn nötig, neue zu erfinden. Denn erfahrungsgemäß gelingt eine Machtergreifung dann besonders leicht, wenn der künftige Diktator sich als Retter aus grosser Gefahr darstellen kann. Neben Feindbildern sind daher auch Krisen essenziell. Krisen, vor allem wirtschaftlicher Art, aber auch Bedrohungen durch äussere oder innere «Gefahren». Was genau das ist (oder ob es überhaupt etwas reales ist), spielt dabei nicht so eine Rolle. Wichtig ist, dass es propagandistisch genügend aufgebauscht wird und möglichst den politischen Mitbewerbern oder den «Feinden» angelastet werden kann. Ganz ausgefuchste Profis provozieren sogar selbst echte Krisen, um ihre Opponenten zu sabotieren und um hinterher als Retter auftreten zu können.

Dieser Prozess, die eigenen Erzählungen, Begriffe und Deutungen zu etablieren kann eine Weile dauern, aber steter Tropfen höhlt den Stein. Er sollte begleitet werden von ständigen, mehr oder weniger subtilen Angriffen auf die vier Säulen der Demokratie, um eine gewisse Akzeptanz für die künftige Abschaffung der Gewaltenteilung anzubahnen. So kann man unliebsame Berichterstattung als «Lügenpresse» diskreditieren. Die Unabhängigkeit von Gerichten (vor allem der Verfassungsgerichte) und die Legitimität des gewählten Parlaments, der Regierung und überhaupt aller staatlichen Organe sollte man bei jeder Gelegenheit anzweifeln, damit das einfache Volk den Eindruck bekommt, man befände sich eigentlich bereits in einer Art von heimlicher Diktatur, und der ganze Politikzirkus diene eigentlich nur dazu, von den wahren Machtverhältnissen (Stichwort «Eliten», oder noch böser «Oligarchie») abzulenken. Für jeden kritisierten Aspekt der heutigen Gesellschaft lassen sich problemlos plakative «Belege» finden, denn die politische Kultur in Deutschland ist ja alles andere als vollkommen. Also, leichtes Spiel für dich an dieser Stelle – umso mehr, als dass die meisten Leute Verschwörungstheorien wirklich lieben. Dann dauert es nicht mehr lange bis der Ruf nach dem «starken Mann» ertönt, der in dem «Saustall» endlich mal richtig «aufräumt».

Wichtig ist auch das Prinzip der «Alternativen Fakten»: Es genügt, wenn du selbst glaubwürdig vermittelst, dass du denkst, recht zu haben, echte Fakten sind dann optional. Und damit einher geht das Axiom, das alles, was deinen Aussagen widerspricht, gelogen sein muss. Es braucht nicht jeder darauf hereinzufallen, nur «ein grösserer Teil der Mehrheit», und das passiert leichter als du jetzt vielleicht denkst.

Und noch ein kleiner Praxistipp: Vermeide sachliche Diskussionen in der Öffentlichkeit und diskreditiere sofort jeden, der es wagen sollte, dich in solche zu verwickeln. Beliebte Totschlagargumente sind z.B. «Das haben Sie doch jetzt nur auswendig gelernt», «Das habe ich Ihnen schon dreimal erklärt», «Lesen Sie doch erst einmal unser Wahlprogramm», «Das stimmt einfach nicht» usw.

Schritt 4: Erlange und nutze politische Macht

Das klingt zwar fast ordinär, aber der Weg zur Machtergreifung und zum totalitären Staat führt in einer Demokratie tatsächlich am einfachsten über eine Wahl. Nach einem entschlossenen Propaganda-Trommelfeuer mit den richtigen Themen sollte die bundesdeutsche Fünf-Prozent-Hürde aber leicht zu nehmen sein. Auch wenn es nicht sofort klappt, hat das System den Vorteil, dass du als Kleinpartei in den Genuss von üppigen Wahlkampf-Kostenerstattungen kommen kannst. Danke, lieber Steuerzahler!

Am besten wäre es natürlich, wenn man in einem Parlament die absolute Mehrheit oder sogar eine 2/3-Mehrheit hätte, um dann auch gleich die Verfassung abschaffen zu können. Aber auch mit weniger Sitzen kannst du deine Agenda der allmählichen Aushöhlung der Demokratie weiter vorantreiben. Du kannst die Arbeit in Ausschüssen blockieren, die Regierung mit Anfragen überschütten, den parlamentarischen Betrieb mit Anträgen und Verfahrensfragen lähmen – und für alle Folgen daraus kannst du immer «das System» verantwortlich machen (und dafür sehr gut bezahlt werden – nochmal Danke, lieber Steuerzahler!). Denn seltsamerweise herrscht in der deutschen Öffentlichkeit die Meinung, dass gewählte Parteien in der Opposition keinerlei Verantwortung für die konstruktive Arbeit des Parlaments tragen. Du musst also nur lästern, nerven und im Übrigen gemütlich zusehen, wie sich die anderen Parteien und die Regierung fortlaufend blamieren. Lass die Zeit für dich arbeiten. Oder wie schon Tokugawa Ieyasu (1543–1616), der Begründer des Tokugawa-Shogunats in Japan, sagte: „Geduld bedeutet Sieg“.

BTW: Sollte deine Partei die „Sperrminorität“ erreichen, also ein Drittel der Sitze, kannst du alle Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern (Wahl von Verfassungsrichtern, Verfassungsänderung usw.) torpedieren und im günstigsten Fall das betreffende Organ damit sogar ausschalten. Die Zweidrittelmehrheit war eigentlich als Schutz vor radikalen, populistischen Parteien gedacht, aber ganz zuende gedacht hat man die Sache anscheinend nicht…

Schritt 5: Pflege ein Netzwerk von Sympathisanten und anderen Autokraten

Allein schon, um deiner Propaganda mehr Durchschlagskraft zu verleihen, indem deine Positionen von «Dritten» geteilt und unterstützt werden, solltest du dich um Allianzen und Netzwerke bemühen. Schmeichele fremden Autokraten und lasse sie in gutem Licht erscheinen, in dem du ihre Narrative ungefiltert weitergibst. Schon immer haben z.B. Diktatoren ihre kriegerischen Angriffe auf Nachbarländer mit «Selbstverteidigung» begründet, und schon immer haben ihre Vasallen und Speichellecker dem beigepflichtet.

Suche dir «Freunde» für gegenseitige Unterstützung: Politische Opportunisten, Restadel, Ewiggestrige, Restauratoren, Superreiche. Natürlich sind das keine richtigen «Freunde», sondern nur Idioten, die du für dein Ziel, die Alleinherrschaft zu erlangen, benutzt. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, wirst du über sie herfallen. Oder umgekehrt sie über dich – am Ende kann es nämlich nur einen Alleinherrscher geben. Das liegt in der Natur der Sache. Wichtig ist, stets derjenige zu sein, der zuerst zuschlägt.

Achte im Übrigen gut auf deine politischen Mitstreiter und Weggenossen in der Partei. Das sind keine Freunde, sondern deine ärgsten Feinde. Lass sie ständig überwachen, und zögere nicht, sie über die Klinge springen zu lassen, sobald sie illoyales Verhalten zeigen. Andernfalls werden sie dir ihrerseits bei der ersten Gelegenheit das Messer in den Rücken stoßen. Wie gesagt: Wenn es um absolute Herrschaft geht, kann es am Ende nur einen geben.

Schritt 6: Schüchtere politische Gegner ein

Wenn du in der Fläche nicht gut vorankommst, weil zu viele «aufrechte» Politiker und Personen des öffentlichen Lebens meinen, dich zu durchschauen, wird es Zeit sich über die verschiedenen Möglichkeiten der Einschüchterung wie Erpressung, Bestechung, Gewaltandrohung usw. Gedanken zu machen. Auch hier empfiehlt es sich, frühzeitig externe Expertise in Anspruch zu nehmen. Radikale (Untergrund-)Organisationen, Verbrechersyndikate wie etwa die Mafia, Geheimdienste oder einfach freischaffende Verbrecher – die Auswahl ist gross. Allerdings ist es ein trickreiches Unterfangen, den Zielpersonen eine möglichst eindeutige Botschaft zu schicken, gegenüber der Öffentlichkeit aber als Drahtzieher möglichst unerkannt zu bleiben. Deswegen rate ich zu professioneller Hilfe.

Hin und wieder kann auch ein wütender Mob hilfreich sein, der mit Fackeln und Mistgabeln um die Häuser zieht, Scheiben einwirft oder Bücher verbrennt. Das kann propagandistisch jedoch schnell nach hinten losgehen und ist eher ein pittoreskes add-on für die Endphase der Machtergreifung.

Sehr nützlich ist es dagegen, wenn du deinen politischen Gegnern Skandale anhängen kannst, die sie so diskreditieren, dass ihre Meinung über dich oder deine Partei niemanden mehr interessiert. Auch hier kannst du die Dinge mit Hilfe durch befreundete Geheimdienste oder durch Enthüllungsjournalisten professionalisieren.

Bei allen derartigen Aktivitäten ist von entscheidender Bedeutung, dass du nach aussen eine reine Weste vorschützt und Mitgefühl mit den Opfern heuchelst.

Schritt 7: Schaffe eine grosse Krise

Nicht jeder angehende Autokrat möchte 20 Jahre lang an den Balken der Demokratie und des Rechtsstaates sägen, bis er seine Chance bekommt. Beschleunigen lässt sich die Machtergreifung erfahrungsgemäss in Krisenzeiten. Wenn die Umstände gerade nicht danach sind, dass eine wirklich grosse Krise von selbst heraufzieht, solltest du überlegen, welche Möglichkeiten du hast, eine solche herbeizureden oder ganz neu zu erfinden. Extremistische Anschläge auf Unschuldige, Fabrikschliessungen, Handelskriege zwischen Partnerländern haben alle ein gewisses Krisenpotenzial, das sich propagandistisch ausschlachten lässt – ebenso wie eine Pandemie oder ein Krieg in der Nachbarschaft. Aber so richtig ans Eingemachte geht es erst, wenn es den Leuten vor Ort massenhaft droht, dass es ihnen richtig schlecht geht, also bei Massenarbeitslosigkeit infolge eines grösseren wirtschaftlichen Zusammenbruchs etwa. Tatsächlich gab es mehrere Finanzkrisen in den letzten 20 Jahren, die im dümmsten Fall solche Folgen hätten haben können, wenn an den entsprechenden Entscheidungsstellen jemand richtig miese Absichten gehabt hätte. Der Satz „Die Menschheit ist nur drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt“ wird häufig dem britischen Schriftsteller Arthur Conan Doyle zugeschrieben. Spätestens wenn es um die eigene Existenz geht, denken viele Menschen nicht mehr vernünftig, sondern greifen auf prähistorische Verhaltensmuster und angeborene Reflexe zurück.

Moderne Autokraten, die sich ja nicht zuletzt unermesslich bereichern wollen, vermeiden aber gerne grössere ökonomische Disruptionen. Es hat auch kein Diktator Lust, versehentlich von einer marodierenden Bande erschossen zu werden. Darum setzt man gerne auf «virtuelle Krisen», was zwar weniger effektiv, dafür aber ökonomisch nachhaltiger ist. Das ist nichts weiter als angewandte Massenpsychologie, und setzt voraus, dass man seine Propagandamaschine so aufgestellt hat, dass man zumindest in den Augen «des Volkes» die Deutungshoheit über die relevanten Themen erlangt hat. Wichtig ist, die Stimmung anzuheizen, bis sie in blanke Panik umschlägt. Wenn dann noch der DAX um 20 oder 30 % einbricht, ist das Chaos komplett.

Nächstes Ziel ist dann, die herrschenden Parteien und die aktuelle Regierung entweder verantwortlich zu machen und/oder als unfähig erscheinen zu lassen, die existenzielle Bedrohung (egal ob fake oder real) abzuwenden, während du dich als denjenigen ins Spiel bringst, der die Krise lösen kann. Das muss nicht stimmen, aber wenn erst einmal ausreichen Panik herrscht, sind Fakten völlig uninteressant und man wird dir die Macht früher oder später auf dem Silbertablett servieren. Du wirst propagieren, dass das «alte System» sich selbst zerstört hat und es nun einen radikal neuen Anfang braucht, und dass du und nur du derjenige bist, das auch schnell und gründlich umzusetzen. An dieser Stelle ist es tatsächlich vorteilhaft, wenn man vorher noch keine Regierungsverantwortung hatte…

Schritt 8: Die Machtergreifung

Sobald du die Exekutivgewalt innehast, willst du umgehend für ein paar Dinge sorgen:

  • Unterdrückung kritischer Gerichte bzw. Austausch kritischer Richter durch loyale Personen
  • Medien monopolisieren, d.h. aufkaufen, durch Loyalisten steuern lassen oder kriminalisieren
  • Opposition marginalisieren, diskreditieren, kriminalisieren
  • Und schlussendlich die Kontrolle über die nächste und die zukünftigen Wahlen erlangen…

An dieser Stelle muss gelten «ganz oder gar nicht», «what-ever it takes», du gehst «all-in». Es kommt darauf an, dass du die öffentliche Meinung bzw. Berichterstattung kontrollierst, bevor alle aufwachen. Das kann je nach Ausgangslage ein paar Wochen oder wenige Monate dauern, aber nicht länger. Logisch, dass die Machtergreifung und die zu ergreifenden Massnahmen entsprechend gut vorausgeplant werden müssen.

Hilfreich ist auch, wichtige Behörden auf deiner Seite zu haben oder zu bringen, insbesondere die Geheimdienste, Verfassungsschutz und Verfassungsgerichte, die Polizei, das Militär. Wir reden nicht von einem Putsch im klassischen Sinne, aber natürlich geht es um den raschen Umbau des bisherigen Systems. Es darf halt nicht so offensichtlich danach aussehen. Darum kann es sein, dass nicht alle genannten Ziele in kurzer Zeit erreicht werden können. Aber Rom wurde auch nicht an einem Tag abgefackelt.

Schritt 9: Die goldene Zukunft

Sobald du deine Machbasis gefestigt hast, kannst du damit beginnen, die Früchte deiner Arbeit zu ernten. Dein Job besteht nun im Wesentlichen darin, die Geldströme zu deiner Partei und vor allem zu dir selbst umzulenken, und für alles andere einfach die «richtigen» Leute einzustellen.

Ideologisch bestimmst du sämtliche Narrative und kreierst fleissig weiter eine Märchenwelt für dein Volk, um es ruhig und gefügig zu halten, notfalls auch mit der Angst vor dem bösen Wolf.

Wirtschaftlich sorgen Oligarchen von deinen Gnaden für Produktivität und Cashflow. Aber selbst eine ausgemachte Kleptokratie braucht eine gewisse Strategie, wenn sie länger als ein paar Jahre funktionieren soll. Oder anders ausgedrückt: Die Kühe, die du melken willst, brauchen dann und wann Futter. An kreativen Wirtschafts- und Finanzberatern wird es dir aber sicher nicht mangeln.

Du kannst nun alle deine Träume und Wahnvorstellungen umsetzen, z.B. die Monumentalstatue in Berlin errichten, oder den grössten Golfplatz der Welt in Mecklenburg-Vorpommern erbauen, Super-Luxusyachten, geheime Bunker, Inseln im Pazifik, eine Basis auf dem Mond… you name it!

Eines solltest du dir aber gut überlegen, nämlich ob du dann auch noch nach der Weltherrschaft mit kriegerischen Mitteln greifen willst. Das ist in der Geschichte noch nie gut ausgegangen (aber irgendwann ist es ja immer das erste Mal…). Moderne Autokraten in Supermächten setzen da mehr auf eine Art «wirtschaftlicher Kolonialisierung». Das wäre ein eigenes Thema, doch wie gesagt, die Weltherrschaft hat bisher noch niemand erreicht.[2]

Wenn dir das jetzt am Ende doch alles zu einfach klingt, dann solltest du nochmal zurückspringen zu Kapitel 1. Willst du wirklich lebenslange Herausforderungen, Kampf bis aufs Messer, ständig unter Strom stehen – dann solltest du vielleicht doch lieber Lehrer, Software-Projektleiter oder Strassenbahnfahrer werden…


[1] Ok, es gab auch ein paar wenige Diktatorinnen, für die galt sinngemäss aber vermutlich dasselbe.

[2] Oder wenn doch, hat er es wirklich geschickt eingefädelt…

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