Nachdem ich auf der Insel Lumelooge eine Woche lang mit meiner neuen Digitalkamera viele schöne Fotos gemacht hatte, fiel mir auf dem Rückweg ein, dass ich selbst ja auf keinem einzigen dieser Fotos zu sehen war. Dumm. Was nun? Sollte ich einfach zu Hause ein Bild von mir machen lassen mit einem neutralen Hintergrund oder vor einem Nordsee-Poster? Oder jetzt noch in aller Hektik mit dem Zeitauslöser herumfummeln? Kurz entschlossen sprach ich den nächstbesten Menschen an, der mir am Bahnhof Norddeich Mole entgegenkam.
„Hallo, entschuldigen Sie bitte – könnten Sie vielleicht ein Foto von mir machen, mit dem Schiff im Hintergrund? Einfach auf den Knopf hier drücken, geht ganz schnell“.
„Ja gerne, kein Problem. Stehen sie bequem, Kopf etwas nach links, Bauch rein, Brust raus, und hier kommt das Vögelchen… Kuckuck!“
„Ja, also dann vielen Dank auch. Ist das Foto denn was geworden?“
„Welches Foto?“
„Na, das Foto, dass Sie gerade von mir gemacht haben!“
„Ich hätte ein Foto von Ihnen gemacht – wie das denn?“
„Na, eben gerade, mit meiner Digitalkamera!“
„Mit Ihrer Digitalkamera?“
„Ja doch, die halten Sie doch noch da in der Hand!“
„Wie, Sie meinen diese Kamera hier? Wie kommen Sie denn darauf, dass das ihre Kamera wäre?“
„Wie bitte? Ich glaub ich hör wohl nicht recht…!“
„Wieso? Das hier ist ganz klar meine Kamera, schon immer gewesen. Hat mir neulich ein Freund geschenkt, weil er sich eine neue gekauft hat. Das kann der jederzeit bezeugen!“
„Also hören Sie mal! Das ist ja unerhört! Das ist ja… Diebstahl, ganz gemeiner Diebstahl ist das!“
„Jetzt werden Sie mal nicht beleidigend, ja? Wie ich schon sagte: Ich habe einen Zeugen, und was haben Sie? Nichts! Keinen Zeugen, keine Beweise, keine Kamera. Pech gehabt. Sie können mich gerne anzeigen, es glaubt Ihnen ja doch keiner. Wahrscheinlich haben Sie Ihre Kamera irgendwo verloren, oder es hat sie jemand geklaut?“
„Ja, genau, und zwar Sie!“
„Ich verbitte mir diese Unterstellungen – das hier ist ohne jeden Zweifel meine Kamera! Fertig. Ende. Aus.“
„Aber die Bilder – da sind doch über 200 schöne Bilder drauf, die ich alle hier gemacht habe. Ich weiß noch ziemlich genau, was ich aufgenommen habe. Das ist der Beweis! Ich weiß, welche Bilder auf dem Chip sind, aber Sie nicht. Los, ab zur nächsten Polizei!“
„Sie haben mir gar nichts zu sagen! Sie können ja alleine zur Polizei gehen, wenn es Ihnen Spaß macht. Aber einen Chip mit Ihren Bildern drauf werden die bei mir ganz bestimmt nicht finden. Also vergessen Sie es doch einfach, in Ordnung?“
„Nein, das ist nicht in Ordnung! Geben Sie mir wenigstens die Speicherkarte mit meinen Fotos, die sind nicht mit Geld zu ersetzen…“
„Wieso nicht? Versuchen Sie es doch!“
„Wie meinen Sie das…? Sie Schuft! Na gut, ich gebe ihnen 20 €, dafür können Sie sich, wenn Sie wollen, eine andere Speicherkarte kaufen.“
„Zwanzig Euro? Mehr sind Ihnen Ihre schönen Bilder nicht wert?“
„Hm, dann eben 50 €. Aber das ist mein letztes Wort! Sonst fahre ich zurück und mache den Urlaub noch mal!“
„Dann geben Sie mal her! Aber ich will Bares sehen, klar?“
„Ja klar, warten Sie mal… oh, ich habe nur einen Hunderter, die hab ich sonst nie.“
„Kein Problem, ich kann wechseln, geben Sie her…“
„ Hier bitte – he, wo bleibt mein Wechselgeld?“
„Welches Wechselgeld?“
„Für den Hunderter, den ich Ihnen gerade gegeben habe!“
„Welchen Hunderter?“
„Den Sie da in der Hand haben…!“
„Welchen, den hier? Den ich gerade hier auf dem Boden gefunden habe?“
„Ach, von mir aus, das ist mir jetzt auch egal. Geben Sie mir jetzt endlich die Fotos, mein Zug fährt gleich ab.“
„Welche Fotos?“
„Die Fotos in der Kamera, die Sie mir weggenommen haben…ich meine, die Ihnen Ihr Freund geschenkt hat.“
„Was wollen Sie nur immer mit meiner Kamera? Wollen Sie sie vielleicht kaufen?“
„Ich? Ich soll Ihnen meine Kamera abkaufen? Auch das noch! Hm, also gut, aber nur zusammen mit dem Speicherchip und allen Bildern, die da drauf sind. Was soll sie denn kosten?“
„Sagen wir 300 €, aber nur weil Sie es sind.“
„Dreihundert? Hm, ist… ist sie denn überhaupt so viel Wert? Zeigen Sie mal her!“
„Hier, sehen Sie sich das an. Ist praktisch wie neu!“
„Ja, sieht wirklich wie neu aus. Wie gut die in der Hand liegt, und so klein…“
„Ja, genau. Aber jetzt her mit der Kohle!“
„Welche Kohle?“
„Die 300 € für die Kamera, her damit!“
„Welche Kamera? Diese hier etwa? Die habe ich letzte Woche doch erst gekauft! Und schauen Sie – da sind ja auch alle meine Bilder drauf! Noch Fragen? Ach ja, bitte lächeln… Danke! Jetzt gehe ich Sie anzeigen, zusammen mit diesem 1a-Fahndungsfoto…“
„Momentmal, das können Sie doch nicht machen!“
„Doch, das kann ich. Und das werde ich auch – es sei denn, Sie geben mir sofort meinen Hunderter wieder!“
„Na gut, hier, nehmen Sie, aber gehen Sie bitte nicht zur Polizei. Löschen Sie das Bild, ja?“
„Ja. Wenn ich wieder zu Hause bin. Das glaubt mir da sowieso keiner…“.