Während ich mich jahrelang über den Benzingestank und das murksige Fahrverhalten des Ascona 1700 ärgerte, nervte meine Frau sich an den fehlenden Kopfstützen. Das wäre doch viel zu gefährlich. Zugegeben, besonders sicher fühlte ich mich in dem kleinen Auto nicht. Aber richtig Angst hatte ich beim Fahren auch keine, jedenfalls solange Bremsen und Lenkung halbwegs zuverlässig funktionierten. Und man nicht die ganze Zeit Benzol und alle möglichen krebserregenden Aromate in höchst ungesunder Konzentration inhalieren muss.
Aber hin und wieder kam mir der Gedanke, dass die Kadett B früher irgendwie grösser gewesen sein müssen. Also damals, als ich 30 Jahre jünger war und 30 kg leichter. Ich konnte mich auch nicht erinnern, dass man vom Fahrersitz aus bequem die Fensterkurbel der rechten Hintertür betätigen konnte (vermutlich weil mein damaliger Kadett LS ein Zweitürer war). Und ja, der Gedanke an ein etwas größeres, bequemeres und vielleicht auch sichereres Gefährt nahm langsam Gestalt an. Wie wäre es mal mit einem Volvo 140 oder 160? Oder einem alten Benz?
Wie das Leben so spielt, erfuhr ich Anfang Mai von einem angeblich sehr gut erhaltenen 230 E, Baujahr 1983, mit nachweislich 112 tkm auf der Uhr. Natürlich musste ich mir den anschauen. Und tatsächlich hatte ich den Eindruck, in einen jungen Gebrauchtwagen einzusteigen. Die Polster und restliche Innenausttattung war tadellos, und von unten sah der Wagen fast aus wie ein Jahreswagen. Der dürfte wohl sehr selten im Winter (oder überhaupt im Regen) gefahren worden sein. Je länger je mehr drängte sich mir die Vorstellung auf, dass der Wagen von seinen 38 Jahren mindestens 30 in irgendeiner Art von Zeitkapsel verbracht hat.
Die Probefahrt hat mir dann den Rest gegeben. Die kuscheligen Velour-Sitze, die aparte Spätsiebziger-Anmutung, der Chromstern auf dem Kühler, und überhaupt das Gefühl, in einer festen Burg zu sitzen, sicher wie in Abrahams Schoss, taten das ihre. Dazu kam die einwandfreie und völlig unkomplizierte Funktion von Motor und Getriebeautomatik, sowie die überraschende Handlichkeit und Übersichtlichkeit. Der Wagen ist beim Fahren lange nicht so „gross“ wie er aussieht. Damals hat man, statt auf Parkpiepser und Rückfahrkameras zu vertrauen, viel mehr Wert auf eine gute Übersichtlichkeit der Karosserie gelegt – das Konzept geht auch heute noch auf.
Manche Sonderausstattung wirkt wertsteigernd, wenn man sie nicht hat.
Edmund Bünting
Der Wagen hat sich in jeder Hinsicht bei mir eingeschmeichelt, so dass mir die Trennung vom Ascona 1700, den ich beim selben Händler gekauft hatte, nicht allzu schwer fiel. Der Ascona-Kadett sieht toll aus, aber ich will ja auch fahren, nicht nur gucken.
Und so kam es, dass ich schliesslich in den Besitz eines grundsoliden Mercedes Benz kam, der auch noch so aussieht wie ein Mercedes eben aussehen sollte (manche Fans sagen: Der einzig wahre Mercedes). Neben dem „vernünftigen“ 2,3 Liter Einspritzer und der genialen Mercedes 4-Gang-Automatik ist dieser Wagen mit den denkbar sinnvollsten Extras ausgestattet: Neben den bereits erwähnten Veloursitzen hat er wärmedämmende Scheiben, elektrische Fensterheber, ein elektrisches Schiebedach und eine pneumatische Zentralveriegelung. Und keine Klimanalage, keinen Fahrer-Airbag und kein ABS – Dinge halt, die bei dem Alter eher wertsteigernd (aber jedenfalls sorgenverringernd) sind, wenn man sie nicht hat.
Als ich den Wagen eine Woche später abgeholt habe, stand ich gefühlt eine Stunde im Züricher Berufsverkehr. Schleichwege konnte ich nicht nehmen, weil der Zigarettenanzünder meinem Navi keinen Strom liefern wollte – eine von mehreren Kleinigkeiten, die nicht in Ordnung waren und die ich grösstenteils sehr einfach selbst reparieren konnte. Das war mir aber egal, denn der Wagen hatte (und hat immer noch) eine äussert entspannende Wirkung auf mich. Die zeitgenössische Werbung liegt nicht ganz falsch, wenn sie eine Entlastung des Fahrers verspricht, damit er sich auf das Wesentliche, nämlich das Fahren, konzentrieren kann.
Einzig die damals als bequem erachteten Polstersessel entsprechen wohl nicht mehr ganz dem, was man heute vor allem auf langen Strecken als angenehm empfindet. Und das Motorgeräusch finde ich gewöhnungsbedrüftig, denn mit einem W 123 verbindet sich in meiner Erinnerung immer das typische Nageln des Benz-Diesels. Nun gut, etwas nageln tut der Beziner ja auch, wenn er kalt ist.
Am nächsten Tag habe ich dann schon einen Ausflug mit Karla um den Obersee und bis zum Flugplatz Wangen gemacht. Karla fühlte sich in dem kuscheligen Auto sofort wohl und wir hatten einen schönen Nachmittag.
Die Aussenfarbe heisst übrigens Silberdistel-Metallic, die Farbe der Innenausstattung Dunkelolive. Der erste Gedanke bei Einsteigen war zwar „Oberförster“ und „Schrankwand Eiche rustikal würde sehr gut dazu passen“, aber so geräumig ist der Wagen innen nun doch nicht, und ein Geweih entdeckte ich auch nirgends. Im Grunde ist die Farbe recht heimelig, nicht zu dunkel, nicht zu hell, und irgendwie beruhigend. Und die Velourbezüge aus echter Wolle sind zwar fast etwas kratzig, dafür aber von bester Qualität.
Gleich in der nächsten Woche habe ich dem Wagen noch neue Reifen gegönnt, weil die alten nach 12 Jahren doch recht hart geworden waren. Bei der Gelegenheit habe ich noch ein paar Fotos der Radhäuser gemacht. Die Ansichten waren ziemlich befriedigend. Ebenso wie die ersten Kilometer mit den neuen Reifen, wenn man noch den Unterschied zu vorher merkt und man das Gefühl hat, von Holzbeinen auf Samtpfoten gewechselt zu haben.
Ein paar Wochen später konnte ich noch ein neuwertiges Originalradio (Becker Europa Kurier mit Kassettenspieler) einbauen, was den Wagen in meinen Augen dann wirklich komplettiert hat. Es passt vom Design her perfekt in den Wagen, hat einen brauchbaren Klang, einen sehr guten Empfang – und zwei Jahre Garantie! Und es ist einfach zu bedienen. Damals gab es zu den Radios zwei Seiten Info in der Betriebsanleitung. Heute haben die „Entertainment-Systeme“ ein eigenes, dickes Handbuch für die 150 Funktionen, von denen ich dann doch nur zwei oder drei benutze.
Ersetzen musste ich die Antennenfussdichtung, die Lampe in der Schaltkulisse, den Regler für die Armaturenbrett-Beleuchtung und die dortigen Lämpchen, die Lampe in der Deckenleuchte und natürlich wie bereits beschrieben die Reifen. Ah, und natürlich die völlig verhärteten Scheibenwischer. Alles keine grossen Dinge, die aber zeigen, dass die letzten Besitzer keine wirklichen Liebhaber waren.
Dass der Kofferraum trotz zerbröselter Antennenfussdichtung trocken, rost- und schimmelfrei war, zeigte auch, dass der Wagen zumindest in den letzten Jahren wohl nur noch bei schönem Wetter benutzt wurde. Nun, das wird sich natürlich jetzt ein bisschen ändern.
Jedenfalls hoffe ich auf viele problemlose Jahre und Kilometer in diesem doch recht besonderen Auto aus der ausgereiften dritten Serie der Baureihe 123.
Was die Stabilität der W123 angeht, habe ich folgende Erkenntnis aus erster Hand beizusteuern: Ein W123 Kombi eines Vertreters rammte sich im Frühjahr 1984 in den Steilheck-Polo meiner Mutter, innerorts, aber ungebremst, während ich im Stand wartete, dass der Gegenverkehr die andere Spur zum Linksabbiegen freigeben würde. Der Typ hatte mindestens 50 km/h drauf. Der Polo wurde quer über die Strasse geschleudert und entging nur um Haaresbreite einer Frontal-Kollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Danach hatte ich keinen Kofferraum mehr. Hätte hinten jemand gesessen, hätte das wahrscheinlich tödlich geendet. Bei meiner Kopfstütze war eine von zwei Streben gebrochen. Der Wagen war Kernschrott. Beim Benz war der linke Scheinwerfer kaputt und die Motorhaube etwas eingeknickt. Der Fahrer wurde von dem Aufprall lediglich etwas unsanft geweckt..