Forever young?

Mit dem VW Corrado zurück in die eigene „Sturm-und-Drang“ Zeit

Nach 5 Jahren Leben mit und Werkeln am VW K 70 schlich sich der Gedanke ein, ob es nicht besser wäre, ihn gegen ein etwas jüngeres Auto zu tauschen? Technisch einwandfrei und von guter Substanz, verfügte der VW K 70 allerdings über einige Nachteile, die seine Nutzung und Pflege erschweren:

  • Ersatzteile gibt es bei VW Classic Parts so gut wie keine, sondern nur (in begrenztem Umfang) über den VW K 70 Club in Deutschland, oder über eigene Suche und private Kontakte. Das kann erschreckend nervig sein, auch wenn man durchaus nette Leute dabei kennenlernen kann…
  • Fehlende Kopfstützen stossen nach wie vor auf Ablehnung bei der Ehefrau.
  • Zum Pflegen und Aufrechterhalten der Betriebsbereitschaft und-sicherheit ist ein gewisser Daueraufwand notwendig – im Grunde fahre ich aber lieber sorgenfrei herum, anstatt basteln zu müssen.
  • Die schlechte Lackqualität verhindert einen Veteraneneintrag und verletzt das ästhetische Empfinden des Fahrers

Darum überlegte ich, den Wagen zu verkaufen, um ein Fahrzeug der Nachfolgegeneration anzuschaffen. Dies auch in der Hoffnung, über die üblichen Vetriebswege besser an Ersatzteile zu kommen und leichter eine servicebereite Garagen in der Nähe zu finden. Zuerst dachte ich an einen Porsche 924. Ein bei genauerem Hinsehen erstaunlich kultiges Auto, dass technisch zum grossen Teil aus VW-Bauteilen zusammengewürfelt und (aus meiner Sicht) dementsprechend „originell“ daher kommt. Es gibt sogar einige Gleichteile mit dem VW K 70, wie z.B. den Kühlwasser-Ausgleichbehälter.

Verglichen mit anderen Porsche-Oldtimern schien mir das Preisniveau auch noch halbwegs überschaubar. In Bezug auf Ersatzteile würde ich hoffen, dass Porsche hier ehrenhalber entsprechend lieferfähig bleiben will. Nachteil wäre dann aber wohl die Apotheken-Preisgestaltung, die der Name Porsche mit sich bringt. Anders gesagt: Wer einen alten Porsche fahren will, dem darf es auf 10’000 CHF im Jahr mehr oder weniger nicht so ankommen.

Wer einen alten Porsche fahren will, dem darf es auf 10’000 CHF im Jahr mehr oder weniger nicht ankommen.

Edmund Bünting

Tatsächlich hatte die Touring Garage im August 2023 einen attraktiven, roten Wagen im Angebot – rot musste der zukünftige „Rennwagen“ unbedingt sein, darüber waren meine Tochter Karla (10) und ich uns einig! Nach dem Glückskauf meines Mercedes 230 E von 1983 (im Zustand von 1987), ebenfalls in der Touring Garage, war jedoch mein Anspruch an den Erhaltungszustand und die Mängelfreiheit ziemlich hoch. Der rote Porsche war zwar recht gut erhalten und hatte nicht allzu viele Kilometer drauf. Allerdings hatte das Armaturenbrett kleine Risse (in der Beschreibung stand „keine Risse“, aber das war wohl ein „Druckfehler“…) und die Seitenschweller waren vorne durch unsachgemässen Gebrauch einer Hebebühne irreparabel von unten eingedrückt. Dafür war der aufgerufene Preis dann doch zu heftig, so dass ich zum ersten Mal einen Wagen, den ich in der Touring Garage Probe gefahren habe, NICHT gekauft habe.

Und so ging die Suche weiter mit den Kriterien „rot, sportlich, nicht zu alt, sehr gut erhalten“. Dann, Anfang September 2023, stiess ich auf einen VW Corrado 2.0 16V, Bj. 1992, in der Nähe von St. Gallen. Der Wagen war sehr gut gepflegt, der Lack sogar in ganz erstaunlich gutem Zustand (die Farbe hiess ab MJ 1992 „flashrot“ – der Nachfolger von „tornadorot“). Typischer Schweizer Langzeit-Erstbesitz, offenbar nur wenig bei Regen und noch weniger im Winter gefahren. Nicht ganz der Wow! – Faktor wie beim 230 E, aber schon weit in die Richtung.

Die rund 80’000 km glaubt man sofort, und auch spätere Messungen der Lackdicke bestätigen: Der Lack ist original! Ein Blick ins Wartungsheft gibt zu weiterem Staunen Anlass: „Totalmobil“-Garantie von VW bis 2015 (der Wagen wurde also im Prinzip 23 Jahre nur bei der Amag gewartet).

Die weiteren Eckdaten bei der Besichtigung:

  • 2 Liter 16 V Motor mit 136 PS funktioniert
  • elektrisches Schiebdach funktioniert
  • empfangsstarkes zeitgenössisches Grundig-Cassettenradio funktioniert
  • (fast) alles andere funktioniert auch, der Wagen fährt gut und sicher, das ABS regelt spät, die Servo-Lenkung ist erstaunlich stramm, aber das muss wohl so sein
  • Innenraum sauber und ohne Flecken auf den empfindlichen, hellen Bezügen.
  • Automatik-Getriebe (ja wirklich) funktioniert unauffällig

Einige Mängel hatte der Wagen allerdings auch:

  • elektrische Verstellung des rechten Aussenspiegels defekt
  • Schaltgriff gerisssen (aber funktionsfähig, Ersatzteil liegt bei)
  • Daumengrosses Rostloch am unteren Heckscheibenrahmen (aber kunstvoll abgeklebt).

Der Verkäufer bietet noch neuen Service (d.h. v.a. Öl- und Zahnriemenwechsel) und neue Reifen an sowie neue MfK. Für alles zusammen will er knapp 10’000 CHF haben. Und natürlich verspricht er eine gründliche Reinigung innen und aussen, vollen Tank und neue Vignette für eine (nicht ganz kleine) Ablieferungspauschale zusätzlich. In Anbetracht des selten guten Gesamtzustandes willigte ich ein, auch wenn mir klar ist, dass die professionelle Reparatur der Heckklappe mindestens 1000 CHF kosten wird.

Corrados sind inzwischen halt auch irgendwie Kultautos, aber ähnlich wie der K 70 mehr für den „Kenner“ geeignet, etwas abseits vom Oldtimer-Mainstream (was natürlich für viele Alltagsautos gilt, welche gerade die 30-Jahre-Marke überschreiten). Seine Karriere ist die eines Möchtegern-Sportwagens und Nischenfahrzeugs. Vom relativ hochpreisigen Technologieträger (Stichwort „G-Lader“) über die totgetunte, schrill gepimpte Proll-Karre vor der Dorf-Disko zur begehrenswerten Rarität für junggebliebene (Post-)Boomer. In der Schweiz sind vom 2.0 16V noch rund 30 Fahrzeuge zugelassen, die aber im Strassenbild so gut wie nicht mehr auftauchen. Wie viele davon sich noch in gut erhaltenem Originalzustand befinden, kann niemand sagen, viele werden es wohl nicht sein.

Ein toller Fundus für sämtliche Infos zum Corrado ist https://corrado.xyz/

Etwas häufiger, aber auch gesuchter (und damit auch teurer) sind Corrados mit G-Lader und die Sechzylinder-Fahrzeuge. Die „normalen“ 8- und 16-Ventiler sind jedoch (nach dem was man so liest) weniger kapriziös. Mit Automatik wurden wahrscheinlich nur sehr wenig Fahrzeuge verkauft…

Mitte September konnte ich den Wagen abholen. Die „gründliche Reinigung“ ist dann wohl vergessen gegangen, aber bei 70 Liter Fassungsvermögen ist ein voller Tank ja auch schon mal nicht nichts. Die erste Fahrt zurück nach Uster war angenehm, wobei es schon recht warm in dem kleinen Auto wird, wenn die Sonne draufknallt. Das Schiebedach ist da wirklich hilfreich.

Seine Karriere ist die eines Möchtegern-Sportwagens und Nischenfahrzeugs.

Edmund Bünting

Um den Wagen bestmöglich zu erhalten, habe ich in den folgenden Wochen noch diese Arbeiten machen lassen:

  • Reparatur der Heckklappe im Carrosseriewerk Uster
  • Getriebespülung in einem Fachbetrieb in Hittnau
  • Gebrauchtwagen-Prüfung bei der Amag Uster
  • Austausch der Motor-Aufhängungen in einer Garage in der Nachbarschaft.
  • Pflege des Unterbodens in noch einer Fachwerkstatt

Ausserdem habe ich das eigentlich sehr gute Grundig-Radio gegen ein neues Blaupunkt Bremen DAB getauscht. Einerseits hiess es bis Oktober, dass UKW in der Schweiz Ende 2024 abgeschaltet wird (inzwischen ist daraus aber Ende 2026 geworden). Zum anderen erlaubt das Blaupunkt-Radio, die Displayfarbe ziemlich genau an die Instrumentenbeleuchtung des Fahrzeugs anzupassen (in 4096 Farbstufen). Und tatsächlich ist DAB heute schon recht praktisch, da man auf UKW hier in der Gegend die Sender alle paar Kilometer neu einstellen muss…

Für die eingebauten Cassetten-Fächer habe ich mir mit meinem neuen 3D-Drucker noch passende Einlegeböden gemacht, so dass die Fächer nun auch ohne Cassetten weiter genutzt werden können: Für Münzen, oder auch für USB-Datenträger.

Tja, und dann war da noch der gerissene Schaltgriff. Zwar lag tatsächlich ein original VW Ersatzteil dabei (inkl. Kaufquittung). Doch dies liess sich nicht korrekt montieren (darum lag es wohl auch im Kofferaum und war eben nicht schon eingebaut). Das Ding war aber wirklich das von VW für den Corrado angebotene Teil, ein anderes gibt es nicht. Aber was war falsch? Innen im neuen Griff fehlt eine passende Aussparung, um das obere Ende des Schalthebels so weit einführen zu können, dass der Entsperrhebel korrekt arbeitet. Da blieb mir nichts anderes übrig, als den betreffenden Plastikring mit dem Dremel auszufräsen, bis der Schalthebel hinein passte.

Natürlich habe ich den Wagen auch nochmal gründlich innen und aussen gereinigt, poliert und sogar eine Motorwäsche gemacht. Dabei hat der Motorreiniger leider sofort die Dämmung an der Motorhaube geschnetzelt. Die traurigen Reste habe ich mit dem Hochdruckreiniger entfernt.

Glücklicherweise kostete Ersatz nicht viel, und die Carrosserie-Werkstatt, die mir die Heckklappe repariert hat, hat auch noch eben die neuen Dämmmatten professionell eingeklebt. Aber ein blitzsauberer Motorraum bei einem 30-jährigen Auto ist einfach immer ein erhebender Anblick, ebenso wie ein sauberer, rostfreier Unterboden…

Die Reparatur der Heckklappe wurde dann noch spannend. Zuerst dachte ich, es wäre am günstigsten, eine intakte Klappe bei einer Autoverwertung im Nachbarort zu besorgen und diese umlackieren zu lassen. Die alte Klappe sollte allerdings auch schon 350 CHF kosten. Schlussendlich liess ich mich in der Carrosserie-Werkstatt (die mir unter der Hand bei der Amag empfohlen wurde) überzeugen, die originale Klappe reparieren zu lassen. Der Aufwand war nicht grösser, und die Klappe war ja sonst wie der restliche Wagen sehr gut erhalten.

Für das Abdeckgummi. welches die Fuge am Scheibenrand abdeckt, gab es bei VW keinen Ersatz. Nach Recherche in diversen Internet-Foren habe ich für wenig Geld ein passendes Gummi vom Kadett E CC besorgt. Sieht nicht ganz genau aus wie das Original, aber das merken vermutlich nur 5 Leute auf der Welt.

Zuletzt habe ich mir nach langem Überlegen dann noch Winterräder besorgt. Natürlich fahre ich den Wagen nicht bei Schnee und Eis – Streusalz ist tabu. Aber es gibt ja in jedem Winter auch milde Perioden, und wenn das Salz auf den Strassen nach ein paar Regentagen fortgespült wurde, mute ich dem Wagen auch Winterbetrieb zu. Zumal ich auch den Unterboden in einer anderen Fachwerkstatt habe aufbereiten lassen: Also gründliche Reinigung, Beschädigungen im Unterbodenschutz ausbessern, hier und dort Flugrost entfernen und die Stellen neu grundieren/lackieren/konservieren.

Nun war es aber nicht ganz einfach, passende Felgen für den Corrado zu bekommen, die alten 4-Loch-Felgen sind nicht mehr sehr gängig. So musste ich welche aus Deutschland kommen lassen. Auch wenn diese wie original VW-Felgen aussahen und die serienmässige Grösse hatten, musste ich sie beim Strassenverkehrsamt eintragen lassen. Der dortige Prüfer staunte auch, aber da im Typenschein steht, dass nur original VW- oder Audi-Felgen eintragungsfrei sind, musste das halt sein. Alles andere wäre illegal. Glücklicherweise war das Eintragen dank ABE und Teilegutachten problemlos möglich. Der Prüfer hat dann noch eine Runde zur Geschwindigkeitsmessanlage gemacht, um zu prüfen, ob der Tacho bei 50 km/h auch nicht zu wenig anzeigt. Das schien mir nicht unbedingt nötig, denn es handelte sich ja um Felgen und Reifen in Seriengrösse. Vielleicht hatte er einfach nur Lust, mal eine Runde mit dem inzwischen ja recht seltenen Wagen (zumal mit Automatik) zu fahren – es sei ihm gegönnt.

Zusammenfassend: Macht es Spass mit dem Wagen zu fahren? Auf jeden Fall. Fühlt man sich in dem Teil wieder wie 26? Nicht wirklich, auch wenn der Ein- und Ausstieg mit etwas Übung noch recht gut gelingt. Immerhin erzeugen die VW Armaturen mit der grünen Beleuchtung ein gewisses „Coming home“ Gefühl. Aber hätte ich mir diese Wagen gekauft, wenn ich mit 26 das Geld gehabt hätte? Ganz sicher nicht…. – Was ist also jetzt so toll an der Karre? Sie ist in dem Zustand super selten (vielleicht einzigartig), läuft einwandfrei, ist klein und wendig (vor allem im Vergleich zu heutigen SUV), treibt gestandenen Männern Tränen der Rührung in die Augen, und liefert mit dem automatisch aus- und einfahrenden Heckspoiler immer noch eine gute Show – bei den Schweizer Modellen fährt er übrigens bei 75 km/h aus, nicht erst bei 120 km/h wie in Deutschland (anders käme ein ausgefahrener Spoiler einer Selbstanzeige gleich ;-)). Und Karla und ich haben nun den „roten Rennwagen“, den wir uns schon lange gewünscht haben.

Abgesehen davon habe ich von 1987 bis 2002 in Osnabrück gewohnt, und war in der Zeit auch auf verschiedene Weise mit der Firma Karman in Berührung gekommen, z.B. als Auslieferungsfahrer der Spedition Friedrich Koch während eines Ferienjobs im Sommer 1992. Karman war einer der größten Arbeitgeber in Osnabrück, das Werk lag relativ zentral in der Stadt. Ich kannte Ingenieure und Technische Zeichner von dort, hatte Nachbarn, die dort arbeiteten. Generell war die Zeit in Osnabrück für mich eine wichtige Zeit des Selbständig werdens, zahlreicher Abenteuer und Entdeckungen, etwas, das so nicht nochmal wieder kommt – und währenddessen wurde halt auch dieser Wagen dort gebaut . Und so ist dieser knackige Corrado wie ein Gruss an mich selbst aus dieser Zeit – die man durchaus als „Sturm- und Drang“ – Zeit bezeichnen könnte (auch wenn diese Phrase dermaßen retro ist, dass sie keiner unter 60 versteht).

Der K 70 fand übrigens inzwischen einen neuen Besitzer in Schaffhausen. Eine exklusive Ersatzteilsammlung gab es dazu. Ich hoffe er hat es gut dort, und der neue Besitzer hat Zeit genug für ihn.

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Ein Gedanke zu “Forever young?”

  1. Falls es irgendwen interessiert: Nach knapp 2700 km im Herbst/Winter mit gemischtem Betrieb Stadt, Überland, aber wenig Autobahn, errechne ich einen Durchschnittsverbrauch von 10,33 Litern auf 100 km. Ich denke das geht für einen Wagen dieser Epoche mit Automatik in Ordnung.

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