Nie wirst Du so alt sein wie du aussiehst… (Teil 2)

Es gibt so etwas wie das „Geschenk der Jugend“, was die körperliche Fitness angeht. Man sagt der Körper sei bis zum Alter von 25 Jahren in der Aufbauphase. Auch ohne exzessiv Sport zu treiben sind dann die meisten Menschen wie von selbst einigermassen fit. Natürlich gibt es auch hier Unterschiede, je nach Konstitution und Aktivitätslevel. Aber im Großen und Ganzen haben wir uns in dem Alter nur wenig Gedanken über Treppenstufen oder Höhenmeter oder Puls und Blutdruck gemacht. Die Parties endeten erst, wenn es wieder hell wurde, und notfalls ging es am nächsten Abend gleich weiter.

Es fehlte uns auch weitgehend das Verständnis für Menschen, die mit den alltäglichen Dingen wie Türschwellen, Beschriftungen auf Verkehrs- oder Preisschildern oder der gleich abfahrenden Straßenbahn Probleme hatten. Genauso wie wir nie auf die Idee gekommen wären, dass irgendwer jemals ein Potenzmittel haben wollen würde. (Nun, ich will es immer noch nicht haben wollen, aber da das Internet inzwischen so schlau ist, dass es mich an allen möglichen Stellen mit „zielgruppenspezifischer“ Werbung versorgt, und dabei öfter von Viagra zu lesen ist, muss es wohl eine grosse Nachfrage danach geben. Oder vielleicht gerade nicht, denn wozu müssten sie sonst so viel Werbung dafür machen? Vielleicht hätte ich bei meinem GMX-Freemail-Account aber auch nicht 1905 als Geburtsjahr angeben sollen?)

Allerdings ändert sich das mit der Fitness dann im Laufe der Jahre. Nicht plötzlich und auf einen Schlag, sondern heimlich, still und leise. Aus manchen Wehwehchen mit Muskeln, Knochen und Sehnen, die man früher kaum beachtet hat, weil sie immer von selbst verschwanden, werden heute chronische Probleme, die (eigentlich) behandelt werden müssen. Ein paar Tage Herumsumpfen rächen sich gleich in schauderhaften Konditionsverlust. Und irgendwann ist die Treppe, die gleich abfahrende Straßenbahn oder die Bergwanderung mit den 800 Höhenmetern doch ein (ganz kleines) Problem. Ganz zu schweigen vom Blutdruck, der dann eben auch manchmal höher ist als er sein sollte.

Die Figur wandelt sich denn auch eher in Richtung „gemütlich“, zumindest bei den Menschen, die entsprechend veranlagt sind und nicht wirklich hart dagegen vorgehen. Was man früher als Wander-Rucksack gelegentlich an Extragewicht stemmte, trägt man dann irgendwann permanent mit sich herum.

Gute Laune und Sorglosigkeit entspringen Charaktereigenschaften, die nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun haben – sollte man meinen. Ich erwische mich allerdings öfters dabei, dass ich mich in manche Alltagsprobleme geradezu hineinbohre und sie fortlaufend mit mir herumschleppe, oder besser: vor mir her schiebe. Abschalten fällt mir schwer und manchmal verfolgt mich das eine oder andere Problem noch die halbe Nacht. Ich weiss nicht, woher das kommt, aber diese sorglose Leichtigkeit, die mir früher auch nicht immer zu eigen war, aber wenigstens gelegentlich geschenkt wurde, kommt heute praktisch nicht mehr vor. Nicht einmal mit Hilfe von Alkohol. Ach, ja, der Alkohol. Gut kann ich mich an diese typischen Kopfschmerzen erinnern, welche die Nachwirkungen fast jeder Studentenparty waren. Heute kommen diese Kopfschmerzen öfter auch ohne Party. Natürlich spart man dabei viel Geld für Bier oder Wein und hat trotzdem dasselbe Resultat, was ja irgendwie praktisch ist. Nur leider gab es kein „Vorher“, keine Zeit der (künstlichen) sorglosen Leichtigkeit…

Bevor ich mich jetzt in die Untiefen der Lebensberatung begebe, stelle ich an dieser Stelle einfach einmal fest, dass die Fähigkeit zum Glücklich Sein mit dem Alter bei mir nicht unbedingt zugenommen hat. Vielleicht ist das wie mit der körperlichen Kondition: Wenn „das Geschenk der Jugend“ einmal aufgebraucht ist, muss man anfangen, auch die „Glücksmuskeln“ bewusst zu trainieren – wie immer das dann aussehen kann?

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