Etiketten-Schwindel

Als Fahrer zweier Oldtimer mit einem Schweizer Wechselschild war ich hocherfreut über die Einführung der E-Vignette im Sommer 2023. Da hier die Zahlung der Autobahn-Gebühr mit der Kontrollnummer verknüpft ist und nicht mehr mit einem bunten Kleberli physisch an jedem Fahrzeug bezeugt werden muss, kann ich mir die faktisch unnötigen 40 CHF für das zweite Fahrzeug sparen. Man muss auch nicht mehr jedes Jahr die Klebereste mühsamst abpulen oder sich die teure (oder gar unersetzliche) Windschutzscheibe mit Metallschabern ruinieren. Und für Motorradfahrer (der ich auch einmal war) war das Ankleben der Vignette am Fahrzeug sowieso immer sehr unschön.

Nachteil auf der anderen Seite ist: Beim Verkauf des Fahrzeugs geht die Vignette „verloren“, d.h. der Käufer muss sich für sein neues Kontrollschild eine neue kaufen (es sei denn er kauft das Kontrollschild gleich mit und wohnt im selben Kanton – keine Ahnung, ob das geht).

Logo des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit (Quelle)

Die Vorteile überwiegen aber ganz eindeutig. Also her mit der E-Vignette! Nichts wie ran an Google und nach „E-Vignette Schweiz“ gesucht. Direkt der oberste Treffer (dank Googles „Spezialranking“) führt auf die Seite

https://vignetteschweiz.eu/

Alles klar. Schnell die nötigen Daten eingeben und schon kommt der Preis: 58 EUR für eine Töff- oder Motorwagen-Vignette für 2024. Hä? Waren das bis anhin nicht 40 CHF? Hat der Bund die Preise erhöht? Und wieso überhaupt in EUR bezahlen? Traut das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) dem Schweizer Franken nicht mehr?

Ups, schon wieder alles teurer geworden?

Schon komisch. Und wenn man die Vignette innert zweier Stunden haben will, soll man nochmal 6 EUR draufzahlen? Merkwürdig, so langsam arbeiten die IT Systeme in der Schweiz doch sonst nicht…

Dem bedächtigen Beobachter kommt spätestens hier (wir sind inzwischen bei 64 EUR, also knapp 60 CHF) in den Sinn, dass dies vielleicht nicht das offizielle Portal des BAZG zum Kauf der neuen E-Vignette ist. Und eben, schaut man weiter auf der Google-Trefferliste, gelangt man zur Infoseite des Bundes und darüber zum offiziellen Webshop des BAZG.

 www.e-vignette.ch 

Und siehe da, die Welt ist wieder in Ordnung: 40 CHF Jahresgebühr wie immer und kein Wort von einem Expresszuschlag. Die Angaben, die gemacht werden müssen, sind dieselben wie in dem ersten Webshop, der das Aussehen des offiziellen Shops recht frech imitiert.

Puh, doch nicht teurer – erst denken, dann kaufen!

Was hat es mit dem Schwindel-Portal auf sich? Diese Webseite gehört anscheinend einer in Kattowitz, Polen ansässigen Firma. Das Geschäftsmodell richtet sich offenbar vor allem an ausländische Besucher oder Transit-Reisende, die an oder kurz vor der Grenze schnell noch eine E-Vignette kaufen wollen – und die sich mit den Gegebenheiten in der Schweiz nicht so gut auskennen. Demnach ist die Webseite auch in allen wichtigen Sprachen Europas (und polnisch) verfügbar.

Hat der Kauf bei den Polen irgendeinen Vorteil? Offensichtlich nicht, es ist nur 50 % teurer. Wird tatsächlich das eigene Kontrollschild beim BAZG registriert? Wahrscheinlich ja, denn die Kantonspolizei Zürich spürt Betrugsseiten aktiv auf – und solche gab es zu Beginn im Sommer 2023 durchaus. Solange eine Gegenleistung erfolgt (also die Registrierung beim Bundesamt), ist das Geschäft offenbar nicht illegal. Wucher ist in der Schweiz zwar im Obligationenrecht verboten, aber die Messlatte, ab wann etwas Wucher ist, liegt ähnlich wie in Deutschland recht hoch. Und schlimmstenfalls kann der Käufer ein Jahr lang vom Kauf zurücktreten.

Die Option „Öffentlich einsehbar“ gibt es auf der Schummelseite übrigens nicht, insofern ist es für den Käufer im Nachhinein u.U. nicht möglich, die Registrierung tatsächlich zu verifizieren. Da bräuchte es dann schon eine Polizeikontrolle…

Es gibt noch weitere Seiten ähnlicher Machart (z.B. vignetteschweiz.ch, vignetteschweiz.com usw.) Was mich aber wunder nimmt: Wie kommen die Daten schlussendlich zum Bundesamt? Sitzen da in Kattowitz lauter fleissige Polen, die die Daten in das offizielle Webformular abtippen? Oder haben die Polen ein Skript geschrieben, welches das automatisch tut – und wenn ja, warum hat das BAZG dann keine Bot-Abwehr eingebaut? Oder hat das Bundesamt für sein Vignetten-Shop womöglich eine Online-Schnittstelle für Drittanbieter geschaffen und verdient über die entsprechenden Nutzungsgebühren fleissig mit an dem Schwindel?

Wie dem auch sei: Die Polen verwirklichen hier den uralten, kapitalistischen Traum vom „Money for nothing“ praktisch in Reinform – im Fall von „e-Business“ ist das ja idealerweise ein Server, der in der Ecke steht und mit minimalstem Aufwand fortlaufend Gewinne generiert.

2
0

2 Gedanken zu “Etiketten-Schwindel”

  1. Also der Nachteil dass die Gebühr futsch ist beim Abgeben des Kontrollschildes steht ja in keinem Verhältnis zu den vielen Vorteilen.
    Ich glaube, ich werde mein tiefes (ZH 11297) Kontrollschild niemals abgeben. Also ist dies dann ein Problem meiner Nachkommen.
    Viele liebe Grüsse, Valentin

    1
    0
    1. Hoi Valentin, ja das finde ich auch. Schön von dir zu hören 😉 LG Ekki
      PS. Hätte ich tatsächlich den roten Porsche 924 gekauft, wäre ich bestimmt schon längst mal vorbeigekommen 🙂

      1
      0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert