Unglaubensforschung

Es ist eine allgemein bekannte Weisheit, dass der Glaube Berge versetzt. Ich habe das selbst mal ausprobiert, denn das hätte ja die Revolution im Tiefbau sein können. Aber es hat nicht funktioniert. Möglicherweise war mein Glaube nicht groß oder rein genug, jedenfalls hat sich nichts bewegt. Wahrscheinlich benötigt man sowohl eine sehr große Menge wie auch einen besonders qualifizierten Glauben, um nennenswerte Erdbewegungen auszuführen.

Da sich die Topographie hierzulande in letzter Zeit kaum geändert hat, könnte man daraus ableiten, dass die Menge an Glauben insgesamt nicht besonders groß ist. Das würde sich auch mit der Einschätzung der Kirchen decken. Andererseits könnte der Glaube aber auch Berge an ihrem Platz halten, was ja nicht unbedingt schwieriger sein dürfte? Folglich zeigt ein eher statisches Landschaftsbild vielleicht auch nur einen Paradigmenwechsel im Volksglauben an. Somit könnte gerade eine besonders große Glaubensmenge dafür verantwortlich sein, Berge am ziellosen Umherwandern zu hindern. Nur vollzieht sich ein solcher Wechsel, gerade wenn man an die hiesige Bevölkerungsdichte denkt, ja wohl kaum gleichzeitig bei allen Gläubigen. Zu gewissen Zeiten würden Ungleichgewichte in den Glaubensmengen bezüglich einzelner Erhebungen daher zu tektonischen Unruhen führen müssen. Und tatsächlich werden ja auch hierzulande vereinzelt schwache Erdbeben registriert.

Insgesamt kommt man aber zu dem Schluss, dass eigentlich sehr wenig Menschen je wirklich an wandernde Berge geglaubt haben, und somit die natürliche geographische Beständigkeit zusätzlich mit, nennen wir es einmal  „indirekten“, Glaubenskräften stabilisiert wurde. Umfragen zufolge glauben in der Tat mehr als 83 Prozent aller zwischen 20 und 60 jährigen, dass Berge da gut aufgehoben sind, wo sie sich gerade befinden. Außerdem glauben 97 Prozent ausdrücklich nicht daran, dass geistige oder seelische Kräfte ausreichen, um Berge oder auch nur kleine Erdhäufchen zu bewegen. Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine bisher wenig beachtete „reziproke Glaubenskraft“, früher auch etwas abfällig als “Unglaube“ bezeichnet. Dieses Phänomen basiert auf der Tatsache, dass an viele Dinge explizit nicht geglaubt wird. Diese werden damit sozusagen zu „inversen“ Glaubensgegenständen. Die sich in diesem ausdrücklichen Nichtglauben manifestierende Kraft könnte durchaus vergleichbare Größenordnungen wie die klassische Glaubenskraft erreichen, nur gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen.

Es wurde in jüngerer Zeit die Hypothese aufgestellt, dass sich die positiven und negativen Glaubenskräfte in einem sensiblen Gleichgewicht befinden und sich im Allgemeinen ständig neutralisieren. Andere Meinungen gehen jedoch eher in die Richtung, den negativen Glaubenskräften eine überwiegende und damit eine auch geographisch stabilisierende Wirkung zuzusprechen. Es eröffnet sich uns hier ein interessantes und neues Forschungsgebiet, nämlich die „Unglaubensforschung“, wobei die Ähnlichkeit zur Physik der Elementaren Teilchen sicher kein reiner Zufall ist: Glaube und Antiglaube als Grundbausteine des metaphysischen Kosmos.

Trotz heftiger Proteste führender Vertreter aller Kirchen und Religionsgemeinschaften wurde ein von der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Deutschen Bundesbank und der Deutschen Forschergemeinschaft geförderter „Lehrstuhl für Inverse Glaubensforschung“ am Institut für Weltanschau­ungsmarketing der Freien Universität zu Warendorf gegründet. Vertreter der neuen Lehre sehen gerade in den Protesten der Kirchenmänner, welche nicht an den Sinn dieser Forschung glauben, den Beleg für die Richtigkeit der Grundannahmen dieser noch jungen Wissenschaft.

(Titelbild unter CC BY-SA 3.0 aus https://de.wikipedia.org/wiki/Religion#/media/Datei:Tora_JMW.jpg)

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Ein Gedanke zu “Unglaubensforschung”

  1. Elementare Teilchen? Ich meinte, die gibt’s beim traditionellen deutschen Bäcker: Amerikaner, Berliner, Apfeltasche, Eberswalder Spritzkuchen usw.
    Früher kam das Zeugs einmal in der Woche mit dem Bäckerwagen bei uns vorbei gefahren, einem himmelblauen VW Bulli. Den habe ich heute noch jedesmal vor Augen, wenn jemand „Teilchenbeschleuniger“ sagt 🙂

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